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Changemanagement für Gestalter

Mehr als zwei Drittel der Veränderungsprojekte in Organisationen scheitern. Kein Wunder, denn Changemanagement ist ein unsicheres Terrain mit vielen Überraschungen und Sackgassen. Die Liste der "Rezeptbücher", wie man das Risiko des Scheiterns vermindern kann, ist lang. Viele Changemanager verlassen sich deshalb auf die Rezepte von Management-Gurus und nutzen deren Namen, um damit die eigene Kompetenz zu unterstreichen. Was wäre, wenn es kein Rezept gibt und jeder Veränderungsprozess neu erfunden werden muss? Sind wir mit der Coronakrise da nicht gerade mittendrin?

Das Problem mit dem Problemdruck

In Veränderungsprozessen sollen Probleme gelöst werden, wie zu wenig Motivation, Widerstand, Entscheidungsschwäche, wenig Verantwortungsbewusstsein, Fehlentscheidungen usw. Changemanager, die versuchen, mit dieser Vielzahl und Vielschichtigkeit von Problemen gleichzeitig fertig zu werden, suchen ein sicheres Vorgehen. Diese Sicherheit gewinnen sie, indem sie sich am Common Sense zu Changemanagement orientieren. Im Folgenden sind die häufigsten Common-Sense-Strategien aufgeführt:
- Die Druckstrategie: Ohne Problemdruck, kein Change
- Die Quick-Win-Strategie: Schnelle und sichtbare Erfolge erzielen. Das motiviert weiter zu machen
- Die Bypass-Strategie: Veränderung mit Verbündeten in einem Projekt neben der Linie organisieren
- Die Commitment-Strategie: Commitment einfordern und abfragen
- Die Balance-Strategie: Zielkonflikte müssen ausbalanciert werden
- Die Anti-Widerstands-Strategie: Widerstand behindert und muss entkräftet werden
- Die Top-Down-Strategie: Der Change bei den Mitarbeitern ist Aufgabe der Führungskräfte
Ziel des problemorientierten Changemanagements ist es, den Kampf mit den Problemen möglichst schnell zu gewinnen. Aus dieser Sicht geben die oben genannten Strategien immer wieder Halt. Allerdings wird das problemorientierte Changemanagement von einer spekulativen Orientierung gesteuert. Das heißt, sobald die Probleme weniger werden, lässt auch die Umsetzungsenergie nach und der Changeprozess versandet.

Gestalter arbeiten wie Erfinder

Im Gegensatz zur Problemorientierung geht es bei der gestaltenden Orientierung nicht darum, Probleme zu beseitigen, sondern etwas Neues zu erschaffen, das vorher noch nicht da war. Deshalb haben Changemanager mit der gestaltenden Orientierung andere Prinzipien als Changemanager mit der Problemorientierung:
- Das Prinzip des Wollens: Am Anfang steht die Frage, was wirklich wichtig ist und was man deshalb erreichen will
- Das Spannungsprinzip: Ein direkter und konkreter Bezug zwischen dem Ergebnis, das man erreichen will und dem Ausgangszustand erzeugt Spannung und anhaltende Motivation zum Handeln
- Das Lernkurven-Prinzip: Die Veränderungskurve der Gestalter sieht aus wie eine Lernkurve. Sie beginnt mit kleinen Fortschritten und endet mit den größten Fortschritten
- Das Hierarchieprinzip: Ziele werden in eine aufeinander aufbauende Hierarchie gebracht. Welches Ziel ist das wichtigere und wie wird es vom weniger wichtigen Ziel unterstützt? Gleich wichtige Ziele gibt es nicht.
- Das Relevanzprinzip: In der Ist-Situation sind nur diejenigen Probleme/Herausforderungen relevant, die einen klaren Bezug zum Ergebnis haben, das man erreichen will
- Das Prinzip des Aufbaus von Momentum: Mit jedem Umsetzungsschritt wird ein anwachsendes Momentum für das Gelingen des nächsten, noch schwierigeren Schrittes aufgebaut
- Das Prinzip des Anpassungs-Zyklus: Umsetzen, beobachten, verbessern, umsetzen usw. Unerwartete Rückschläge aber auch Erfolge werden sachlich analysiert und münden immer wieder in eine Verbesserung des Vorgehens
Diese Prinzipien stehen teilweise in Widerspruch zu den oben genannten Strategien, die einen Problemdruck benötigen.
Deshalb ist mit dem Wechsel vom Problemdruck zur gestaltenden Orientierung nicht nur ein Umdenken, sondern auch das Erlernen einer neuen Haltung und eines neuen Verhaltens erforderlich. Die Anwendung der Prinzipien einer gestaltenden Orientierung in Changeprozessen sorgt für ein verständnisvolles, sinnvolles und ein vertrauensbildendes Vorgehen. Das heißt aber auch, jeder Changeprozess wird neu erfunden. Copy-Paste von Methoden und Best Practice passen nicht zur gestaltenden Orientierung.

Gestalter haben eine strukturelle Sicht auf den Changeprozess

Die Prinzipien für die gestaltende Orientierung in Changeprozessen basieren alle auf dem strukturellen Denken. Im strukturellen Denken gibt es insbesondere für die Auseinandersetzung mit der Realität eine Haltung und Herangehensweise, die sicherstellt, dass das Erforschen des realen Geschehens unvoreingenommen bleibt und nicht spekuliert wird oder Typologien und Schubladentheorien herangezogen werden. Einige dieser Herangehensweisen sind:
- Mit Nichts beginnen: Unvoreingenommene Analyse ohne Hypothesen und ohne Vergleiche
- Denken in Bildern: Zur Fokussierung des eigenen Verstandes, zur Reduzierung der Detailflut und zur Unterscheidung von realen und ausgedachten Aussagen
- Die Kunst des unvoreingenommenen Fragens: Keine Fragen nach Gründen, sondern nach fehlenden Informationen, Diskrepanzen und Implikationen
Eine unvoreingenommene Sicht der Realität ist oft unbequem, aber sie hat einen gravierenden Einfluss auf die Effektivität von Changemaßnahmen. In dem Moment, in dem die Realität nicht interpretiert, gedeutet oder bewertet wird, sondern völlig neutral gesehen wird, entsteht Klarheit über die wahre Diskrepanz zwischen dem, was man erreichen möchte und der aktuellen Realität. Das führt automatisch zu effektiven Strategien der Zielerreichung, da man dort beginnt etwas zu ändern, wo man ist und nicht dort, wo man schon sein möchte oder dort wo viele vergleichbare Fälle immer anfangen. Je mehr sich Annahmen, Theorien und Vergleiche in die Sicht der Realität einmischen, umso wirkungsloser sind die darauf aufbauenden Zielerreichungsstrategien. Jeder Fall ist ein Einzelfall, auch wenn man immer wieder auf ähnliche Zusammenhänge und Konsequenzen trifft. Ein Vorgehen, das auf ähnliche Fälle Bezug nimmt, mag sicherer und effizienter erscheinen, jedoch wird dadurch die Realität verschleiert und damit die Auswahl des effektivsten Weges zum Ziel.


Gestalter lassen sich vom Common Sense nicht täuschen

Zum strukturellen Denken gehört es, Common-Sense-Konzepte zu erkennen, die die eigene Sicht auf die Realität und das, was man erreichen will behindern und verschleiern. Oft beinhalten diese Konzepte Überzeugungen und Erwartungen, wie etwas oder jemand sein sollte oder wie jemand handeln sollte. Das können z. B. persönliche und soziale Ideale, Weltanschauungen und die Angst vor negativen Konsequenzen sein. Jeder kommt im Laufe seines Lebens mit vielen dieser Konzepte in Kontakt. Einige übernehmen wir, andere ignorieren wir. Schwierig mit der Erreichung dessen, was uns wichtig ist wird es jedoch, wenn diese Konzepte die Steuerung unseres Handelns und unserer Wahrnehmung der Realität übernehmen.
In Changeprozessen ist das häufig zu beobachten, da sehr oft Fakten dazu fehlen, wie viel Veränderung erreicht wurde. Fehlende Fakten verleiten uns, Konzepte zu nutzen und zu spekulieren und schon befinden wir uns damit nicht mehr in der Realität, sondern im Reich des Glaubens und der Fantasie. Dies sind keine Ausgangspunkte, um eine bleibende Veränderung zu beginnen.

Eine effektive Change-Strategie: Strukturelles Redesign

Wenn Konzepte die eigene Sicht der Realität übernehmen, dann können sich daraus strukturelle Konflikte entwickeln, die das Geschehen in einer Organisation dominieren. Strukturelle Konflikte führen zu oszillierenden Verhaltensmustern, die sich in einer Organisation ständig wiederholen und die immer wieder zum Versanden von Changeprozessen führen. Die häufigsten oszillierenden Verhaltensmuster sind das Hin und Her zwischen Zentralisierung und Dezentralisierung von Entscheidungskompetenzen, zwischen mehr Zeit für neue Verhaltensregeln/Prozesse und mehr Zeit zur Aufrechterhaltung des laufenden Tagesgeschäftes. Oft kämpfen einzelne Mitglieder der Geschäftsleitung oder ganze Abteilungen für die eine oder für die andere Seite des Konflikts. Das kostet Zeit, frustriert alle Beteiligten und führt dazu, dass man sich mit marginalen Gewinn- und Marktanteilssteigerungen zufriedengibt. Gestalter von Changeprozessen erkennen diese strukturellen Konflikte und lösen diese mit dem oben beschriebenen Hierarchieprinzip auf. Durch dieses strukturelle Redesign entsteht sofort Klarheit, was zu tun ist und alle ziehen wieder an einem Strang.

Corona-Changemanagement für Gestalter

Was folgt daraus für das Changemanagement in einer Organisation, wenn alle in räumlicher Distanz sind? Die Problemlöser versuchen, die Widrigkeiten der aktuellen Situation zu überbrücken und arbeiten an Lösungen, die sicherstellen, dass man dort weitermachen kann, wo man vor Beginn der Krise aufgehört hat. Die Changemanagement-Gestalter bleiben bei ihren Zielen und gehen neutral mit der Veränderung der Ausgangssituation um. Dadurch finden Sie leichter Wege, mit der räumlichen Distanz umzugehen, z.B. indem sie sich von zeitlichen und räumlichen Strukturen lösen und neutral mit dem Verlust von intuitiven Einsichten aus der Gruppendynamik und dem Verlust des geselligen Beisammenseins umgehen. Daraus entsteht eine klare Motivation z.B. in virtuellen Räumen, in 1:1 Konstellationen, hierarchiefrei und in kurzen über mehrere Tage verteilten Zeitfenstern, neue Möglichkeiten der Transformation zu entdecken, die effektiver sind, als das, was man bisher gemacht hat.

Herausgeber & Copyright: Johann Leitl

 

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