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Abwarten oder engagieren?

Unternehmen, in denen der äußere und innere Druck zur Veränderung nicht groß genug ist, kennen diese Frage. Sie kommen bei wichtigen Veränderungen immer wieder an den Punkt, an dem sich die erste Führungsebene fragt, warum sich nicht genug bewegt. Das Gleiche fragen sich die zweite und alle weiteren Führungsebenen in Bezug auf die erste Führungsebene. Schlechte Stimmung, Rückschläge und Verzögerungen in Veränderungsprozessen sind häufig die Auslöser für dieses gegenseitige Abwarten. Gibt es etwas, womit fehlender Veränderungsdruck ersetzt werden kann? Oder fehlt hier etwas anderes, dessen sich alle Beteiligten nicht bewusst sind?

Zwei Typen von Managern

Was machen Manager und ihre Berater, wenn sie etwas Wichtiges im Unternehmen verändern wollen und dort auf die innere Überzeugung treffen, "wieso, es läuft doch ganz gut", oder sie treffen auf das St. Florians-Prinzip, "verschone mein Haus, zünde andere an?" Veränderung wird hier ein schwieriges, wenn nicht sogar aussichtsloses Unterfangen. Diese Erfahrung hat zwei sehr häufig zu beobachtende Manager-Strategien hervorgebracht: Den "Negativ-Szenario-Manager" und den "Selbsterkenntnis-Manager".
Der "Negativ-Szenario-Manager" versucht, den fehlenden Veränderungsdruck in Form von Worst-Case-Szenarien aufzubauen. Mit Hilfe namhafter Berater ist es keine Schwierigkeit, genügend Fakten zu zusammen zu tragen, die beweisen, "wenn wir so weitermachen, steht unsere Existenz auf dem Spiel". Diese Strategie nützt sich jedoch sehr schnell ab, denn in der Regel gibt es genügend Beweise, dass vieles gut läuft. Je öfter diese Worst-Case-Strategie in einem Unternehmen bereits benutzt wurde, umso mehr lernen die Betroffenen bei jedem neuen Veränderungsprojekt zuerst mitzumachen und sich später mehr und mehr in eine abwartende Haltung zu begeben.
Ganz anders verhält es sich beim "Selbsterkenntnis-Manager". Er ist der Überzeugung, die Beteiligten müssten von selbst zu der Erkenntnis kommen, dass es nur mit entsprechenden Veränderungen im Unternehmen vorangeht. Da er zu den Menschen gehört, sie selbst über ein hohes Maß an Eigenmotivation verfügen und er meistens mit ähnlich motivierten Kollegen zu tun hat, denkt er dieses hohe Maß an Eigenmotivation sei ansteckend. Mit dieser Überzeugung fällt es ihm schwer, zu erkennen, dass es viele Menschen gibt, die dieses hohe Maß an Eigenmotivation nicht haben und sich auch nicht anstecken lassen. Viele sind unzufrieden, so wie es ist und viele wollen einfach nur in Ruhe gelassen werden. Der "Selbsterkenntnis-Manager" will sich mit dieser Tatsache nicht zufrieden geben. Deshalb sucht er ständig nach einem System, das diese Motivationslücke schließt. Er ist ständig dabei, die Ziel- und Anreizsysteme in seinem Unternehmen zu optimieren. Diese funktionieren jedoch nur bei den Mitarbeitern, die ohnehin bereits zu den 20% Engagierten und Eigenmotivierten gehören. Bei den verbleibenden 80% kommt davon nur wenig an. Sie warten, was mit ihnen geschieht.

Der Engagement-Index und das Führungs-Paradox

Für beide Typen von Managern bleibt die Frage offen: Wieso bewegen sich die 80% nicht? Laut Gallup-Engagement-Index sind es sogar 87%, die sich nicht bewegen. Danach machen im Durchschnitt aller untersuchten Unternehmen in Deutschland 70% der Beschäftigten nur noch Dienst nach Vorschrift. Hinzu kommen 17%, die sich bereits in der inneren Kündigung befinden. Bei genauerem Hinsehen beinhaltet diese alljährliche Feststellung ein selten beachtetes Paradox. Die Führungskräfte, die daran etwas ändern sollen, stecken in den genannten Prozentsätzen mit drin. Sie sind also Teil des Problems und stehen damit vor der heiklen Aufgabe, sich selbst zu kritisieren und gleichzeitig vorbildlich an die Veränderung des Zustandes heranzugehen, den sie selbst erzeugt haben. Mathematiker würden das als Zirkelschluss bezeichnen, der keine Lösung zulässt. Gibt es trotzdem einen neuen Weg, außer dem altbewährten, der darauf baut, dass die 13% Engagierten wieder die Kohlen aus dem Feuer holen?

Was fehlt?

Der Ausstieg aus dem Zirkelschluss ist nur an einer Stelle des Unternehmens möglich, nämlich an der Unternehmensspitze. Voraussetzung dafür ist die Erkenntnis, dass es kein System, keinen Selbsterkenntnisprozess und keine Kommunikationsstrategie gibt, die den Personen, die an der Spitze des Unternehmens stehen, den Job abnimmt, um den es hier geht: Ihren direkt unterstellten Führungskräften persönlich die geeignete Unterstützung zu geben, in ihren Fach- und in ihren Führungsaufgaben Erfolge zu erzielen und ständig besser zu werden. Das ist die entscheidende Grundlage für mehr Engagement im Unternehmen. Doch bevor es soweit ist, müssen von den Managern an der Unternehmensspitze erst einige Umsetzungshürden genommen werden. Langjährige Erfahrung auf diesem Gebiet hat gezeigt, dass diese Umsetzungshürden individuell unterschiedlich sind. Nur zwei kommen bei allen Managern vor:

1. Unklarheit über die eigene Verantwortung für die direkt unterstellten Führungskräfte
2. Mangelnde Zeit für die Umsetzung

Wenn es um die Frage geht, wer dafür verantwortlich ist, dass die Führungskräfte und Mitarbeiter sich verbessern, neues lernen und Erfolge erzielen, stößt man auf ein Phänomen, das in vielen Unternehmen beobachtbar ist. Auf der untersten Hierarchiestufe ist diese Verantwortung besonders klar und ihre Umsetzung gut beobachtbar. Je weiter man in der Hierarchie nach oben kommt, umso diffuser und psychologisch verklärter werden die Vorstellungen über die Verantwortung für die direkt unterstellten Führungskräfte und über die Umsetzung dieser Verantwortung. Die häufigste Entschuldigung dafür, dass diese Verantwortung nicht wahrgenommen wird, ist fehlende Zeit. Fehlende Zeit führt aber auch zu dem Rückschluss, dass es noch an Klarheit über die eigene Verantwortung fehlt. Denn jeder, der sich über seine Verantwortung für seine direkt unterstellten Führungskräfte wirklich klar ist, wird auch die Zeit dafür finden, diese Verantwortung auszuüben. Um die Zeit zu finden, muss jeder an der Spitze des Unternehmens entsprechend dem Führungs-Paradox das in Frage stellen, was er täglich macht.

Die unausweichlichen Folgen

Sobald die Verantwortung klar ist und die erforderlichen Zeit eingesetzt wird, sind folgende Konsequenzen beobachtbar:
- Weniger Ziele: Die Ziele für die unterstellten Führungskräfte werden weniger und konkreter.
- Weniger Pauschalisierung: Die individuelle Behandlung der unterstellten Führungskräfte nimmt zu. Es wird nicht mehr pauschal mit allen gleichzeitig nach einem vorgegebenen Standard gearbeitet.
- Geringer Umsetzungsdauer: Die Intensität, mit der man sich um jeweils eine unterstellte Führungskraft kümmert, nimmt zu. Es geht darum, in überschaubarer Zeit, Erfolge zu erzielen.
- Weniger Fremdleistung: Die Delegation von Aufgaben, auch von Führungsaufgaben, an Trainer, Berater und Coachees nimmt ab.
-Mehr Offenheit und Ehrlichkeit: Die Offenheit und Ehrlichkeit, mit der an die einzelnen Fälle herangegangen wird, nimmt zu. Lob und Anerkennung werden nicht zur Verbesserung der Stimmung eingesetzt, sondern im Zusammenhang mit kleinen und großen persönlichen Erfolgen.
- Steigende Motivation: Motivation und Ausdauer nehmen von Fall zu Fall zu, wie bei jemandem, der für einen Marathonlauf trainiert.
Die Summe dieser Folgen führt dazu, dass sich die am Anfang gestellte Frage "Abwarten oder engagieren?" nicht mehr stellt und das Abwarten verschwindet. An die Stelle des Abwartens tritt Vertrauen, dass sich die Unternehmensleitung persönlich um die Umsetzung wichtiger Vorhaben kümmert und dafür persönlich Unterstützung leistet.

Das Beste zum Schluss

Es ist immer wieder erstaunlich, wie sehr Vorstände und Geschäftsführer die Wirkung ihres eigenen Handelns im Unternehmen unterschätzen und wie sehr sie die Wirkung ihrer Kommunikation ins Unternehmen überschätzen. Ihre Botschaften kommen vor allem dann nicht an der Basis an, wenn ihr tägliches Handeln eine andere Sprache spricht. Ein Mitarbeiter sagte einmal in einem Workshop über den Vorstand: "Wir können Ihre Worte nicht hören, weil Ihre Taten so laut sprechen." In diesem Sinne birgt eine Beobachtung und Verbesserung des täglichen Tätigkeitsspektrums in der Unternehmensleitung ungeahnte Potentiale für das ganze Unternehmen.

Herausgeber & Copyright: Johann Leitl

 

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