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Was wir für Zusammenarbeit und Führung aus den letzten vier Monaten lernen können

Was viele Unternehmen in Changeprozessen mühevoll zu erreichen versuchen, scheint in der Krise umstandslos zu gelingen. Angeregt durch das institutionelle Management der Coronakrise habe ich im Folgenden Standards zusammengestellt, die auch unter normalen Bedingungen für die Zusammenarbeit und die Führung in jedem Unternehmen gelten und an denen sich jede Unternehmensführung messen kann.

Ein Ziel, das jeder versteht

Damit alle Beteiligten ein Ziel verstehen muss dieses konkret, quantifiziert, eindeutig und bildhaft vorstellbar sein. Das Ziel die Infektionskurve flach zu halten ("flatten the curve") ist ein gutes Beispiel dafür. Das Bild der Kurve der Neuinfektionen, die unter der Linie der Kapazität an Intensivbetten mit Beatmungsgeräten bleiben muss, ist anschaulich und einprägsam. Damit hat jeder das gleiche mentale Zielbild vor Augen.

Ein Ziel, das gut motiviert ist

Ziele entfalten nur dann eine dauerhafte Wirkung, wenn sie gut motiviert sind. Dafür müssen sie eines oder mehrere wichtige gemeinsame Interessen unterstützen. Hinter "flatten the curve" steht das gemeinsame Interesse, möglichst wenige Menschenleben zu gefährden und das Gesundheitssystem funktionstüchtig zu halten. Auf Unternehmen übertragen bedeutet dies, die Ziele auf wesentliche Interessen der Kunden und auf die damit übereinstimmenden eigenen Interessen zu fokussieren.

Erreichen wir das Ziel? Transparenz für alle

Die Wahrscheinlichkeit, die Ziele zu erreichen ist umso höher, je einfacher jeder Beteiligte nachvollziehen kann, wie weit der Weg dorthin noch ist. Hierfür müssen alle Zugang zu den entsprechenden Informationen haben, um z.B. Fortschritte zu erkennen und festzustellen, was noch zu tun ist. Die Corona-Fallzahlen sind für jedermann täglich aktualisiert verfügbar. Jeder kann sich jeden Tag ein Bild davon machen, ob das Ziel erreicht werden kann.


Eindeutige Regeln - werden sie eingehalten?

Bei der Erreichung von Unternehmenszielen geht es meistens darum, geeignete Maßnahmen zu finden. In der Coronakrise erleben wir, dass Maßnahmen durch konkrete, eindeutige Regeln ersetzt wurden, wie z.B. 1,5 m Abstand halten. Das funktioniert jedoch nur mit Regeln, deren Einhaltung für jeden und auf allen Hierarchieebenen sichtbar ist. In Changeprozessen von Unternehmen könnten solche Regeln z.B. lauten: Führungskräfte müssen sich alle 5 Jahre neu auf ihre Position bewerben und jeder Mitarbeiter muss sich einmal pro Monat mit einem ihm unbekannten Kollegen für eine Stunde verabreden und über Beispiele guter Zusammenarbeit sprechen.

Mit der Wertehierarchie bewußt umgehen

Die eindeutige Priorisierung wichtiger Werte spielt eine große Rolle in Veränderungsprozessen. Mit dem Lockdown in der jetzigen Krise wurde Gesundheit über Freiheit gestellt. Da Freiheit in unserer Gesellschaft der langfristig höhere Wert ist, kann eine Veränderung der Priorität nur für begrenzte Zeit erfolgen. Im Changemanagement von Organisationen gibt es eine ähnliche Konstellation. Unternehmen, deren Geschäftsmodell auf Kontinuität und Berechenbarkeit aufgebaut ist, können gravierende Veränderungen nur in einem kurzen verbindlich definierten Zeitraum umsetzen, um anschließend wieder zu mehr Kontinuität zurückzukehren. Falls der Krisenmodus nicht durch ein klares einigendes Ziel ersetzt wird, kehren die Egoismen zurück, sobald die Krise nachlässt.

Enge Zusammenarbeit der Fach-Ressorts

Ressortegoismen und Silodenken sind schlechte Voraussetzungen für schnell durchdachte Entscheidungen und deren koordinierte Umsetzung. Dennoch wird Silodenken geduldet, vor allen dann, wenn unter allen Wettbewerbern dasselbe Niveau an Mittelmäßigkeit herrscht. Der Krisenmodus zwingt dazu, sich mit Ressortegoismen zurückzuhalten. Ohne ein einigendes Ziel besteht die Gefahr, dass die Egoismen nach der Bewältigung der Krise zurückkehren.

Originäres Denken statt vergleichendes Denken

Die Corona-Krise ist ein gutes Beispiel für eine bisher nie dagewesene Herausforderung. Ihr kann man nur mit einem anderen, als dem herkömmlichen Denken begegnen, um zu adäquaten Entscheidungen und damit zu Problemlösungen zu kommen. Das ist der Inbegriff des originären Denkens. Originär heißt, sich unvoreingenommen, ohne Theorien, ohne Typologien oder andere Schubladen-Konzepte nur an objektiven Fakten und Beobachtungen zu orientieren. Die gedankliche Verbindung zwischen der Original-Sicht der Realität und einem klaren Ziel führt zu originär erarbeiteten Schritten und zu einer Zielerreichung mit hoher Effektivität.

Ehrlicher Umgang mit der eigenen Unwissenheit

Bei neuartigen Herausforderungen ist der ehrliche Umgang der Organisationsführung mit ihrer eigenen Unwissenheit essenziell. Wer trotz der eigenen Unwissenheit zu einem effektiven Vorgehen kommen will, der muss sich Expertwissen holen. Die Coronakrise hat gezeigt, dass es ratsam sein kann, nicht nur auf Experten mit der höchsten Anerkennung zu hören, sondern eine Art Wettbewerb zu veranstalten, bei dem auch die Widersprüchlichkeit von Expertenempfehlungen erkennbar wird. Diese muss nicht verunsichernd wirken, sondern kann dazu führen, besser "auf Sicht" zu fahren und aus Erfahrungen zu lernen.

Originäre statt opportunistische Ziele

Die Unterscheidung in Gewinner und Verlierer der Coronakrise lässt einen wesentlichen Aspekt außer Acht, den ich anhand eines Beispiels aus dem Segeln erklären möchte: Dort gilt es, seinen Kurs an die Windrichtung und an die Strömung anzupassen, sobald Ziel und Ausgangsposition eindeutig feststehen. Unternehmen werden jedoch oft anders geführt. Da man keine Kursänderung riskieren mag, fragt man sich zunächst, woher der Wind weht, und macht seine Ziele von einer Chancen- und Risikobetrachtung abhängig. Daraus entstehen dann opportunistische Ziele und im Prinzip nur ein Kurs: Alles noch einfacher, besser und schneller zu erreichen. Das Gegenteil dieser opportunistischen Ziele sind originäre Ziele. Diese entstehen aus der zeitgemäßen Verwirklichung des Unternehmenszwecks. Solche Ziele ändern sich nicht mit veränderten Chancen und Risiken, sondern es ändert sich der Kurs, um die Ziele zu erreichen. Scheinbare Verlierer mit originären Zielen können so zu Gewinnern einer Krise werden, denn sie können schlechtere Rahmenbedingungen - der Wind weht plötzlich aus einer anderen Richtung - durch entsprechende Anpassungen von Organisation und Leistungsangebot kompensieren und damit trotzdem oder sogar noch schneller ihr Unternehmensziel erreichen.

Neue Maßstäbe der Kommunikation im digitalen Raum

Durch den Lockdown waren sehr viele Beschäftigte schlagartig gezwungen, von 100 % Präsenz-Meetings auf 100 % Video- und Telefonkonferenzen umzusteigen. Bevor wir dies wieder aufgeben, sollten wir uns ein paar Erfahrungen vor Augen führen, die das Potential für neue Maßstäbe in der Meeting-Kommunikation haben: Drastische Verkürzung der Meeting-Dauer; das gesprochene Wort zählt mehr als Beziehungs-Mimik und -Gestik; sofortiges und für jeden sichtbares Feedback mittels einiger weniger vereinbarter Handzeichen; kein Platz für Vielredner und Phrasendrescher; hohe Konzentration auf die Inhalte; schneller Abbruch bei unzureichender Vorbereitung; kein Durcheinander- und Hineinreden.

Home-Office stärkt die Selbstorganisation und stellt kontrollorientierte Führung in Frage

Während Home-Office vor der Coronakrise vor allem von kontrollorientierten Führungskräften abgelehnt wurde, hat sich nach seiner zwangsweisen Erprobung das Blatt schnell zu Gunster der Mitarbeiter und deren ehrlichem Leistungswillen gewendet. Dagegen wurden manche Führungskräfte auf eine harte Probe gestellt, denn Führung durch Zuruf und Anwesenheitskontrolle funktionierte plötzlich nicht mehr. Ohne Kontrollorgan in unmittelbarer Nähe mussten die Mitarbeiter im Home-Office die Organisation ihrer Büroarbeit, der Kinderbetreuung und privater Aktivitäten selbst in die Hand nehmen. Durch den Wegfall von Büroklatsch, Anwesenheitskontrolle und direkter Arbeitsplatzbeobachtung konnten viele im Home-Office wesentlich effizienter arbeiten und haben dadurch freie Zeit gewonnen, über deren Nutzung sie selbst entscheiden konnten. Auch wenn jetzt der Anteil an Home-Office-Tätigkeit wieder zurück geht, wurde in den letzten Monaten sichtbar, welches Leistungspotential durch den Wegfall kontrollorientierter Führung freigesetzt werden könnte.

Unterschiedliche Führungs-Leitbilder und ihre Konsequenzen

Der Verlauf der Coronakrise in den einzelnen Ländern der Erde macht deutlich, dass Unterschiede im Krisenmanagement auf unterschiedlichen Wertesystemen und Führungs-Leitbildern basieren. Im Folgenden sind beispielhaft drei gegensätzliche Werte/Leitbilder dargestellt, die sich hinter den Krisenstrategien verbergen:
- Verantwortung für sich, für seine Aufgabe und für andere oder Durchsetzung von Einzelinteressen
- Transparenz für alle oder Führung mit Herrschaftswissen
- Menschlichkeit oder "Survival of the Fittest"
Daraus folgt für Führungs-Leitbilder von Unternehmen, dass bereits zwei bis drei wichtige Werte reichen, um einen gravierenden Unterschied im Management zu bewirken. Ein Leitbild mit zehn bis zwanzig Werten führt eher zu mehr Verwirrung.

Herausgeber & Copyright: Johann Leitl

 

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