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Nur Mut!

Erneuerungsprozesse in Unternehmen erzeugen Widerstand und provozieren schnell Gegenreaktionen. Der Kampf des Bewährten gegen das Neue endet dann meist mit einem klaren Sieg für das Bewährte - und mit kaum nennenswerter Erneuerung. Nur durch respektvollen Umgang mit diesem Widerstand und mit mutigem Vorangehen können Sie dem Neuen zum Sieg verhelfen. 


Ein starker Gegenspieler der Erneuerung: Das Dogma der Zufriedenheit

In vielen Unternehmen hat die Zufriedenheit der Belegschaft einen hohen Stellenwert. In regelmäßigen Abständen führt die Unternehmensleitung dazu Befragungen durch. Dabei ist ihr offenkundiger Wunsch, möglichst hohe Zufriedenheitswerte zu erhalten. Was ergeben wohl solche Befragungen, wenn das Unternehmen in eine Krise gerät oder sich selbst einen Erneuerungsprozess verordnet? In solchen Zeiten sollte man lieber auf Umfragen verzichten, denn die Werte werden dann sicher nicht wunschgemäß ausfallen. Zufriedenheit und Erneuerung sind natürliche Gegensätze. Wen wundert es, dass Unternehmen, die besonderen Wert auf immer höhere Zufriedenheitswerte legen, sich besonders schwer damit tun, bei Erneuerungen wirkliche Fortschritte zu erzielen? Die Führung hat sich vom Dogma der Zufriedenheit abhängig gemacht und sich damit selbst Hindernisse bei der Erneuerung geschaffen. Sobald die Mitarbeiter merken, dass das Management sensibel auf ihre Stimmung reagiert, können sie - etwa durch Schlechtreden von neuen Maßnahmen - die Erneuerungen geringhalten und damit bewirken, dass man sich mit dem bisher Erreichten zufriedengibt. Zufriedenheit und das Bewahren von erreichten Erfolgen sind zwei sehr eng verbundene Haltungen, die notwendige Erneuerungsprozesse im Unternehmen verschleppen oder sogar verhindern.

Der ständige Kreislauf der Veränderung

Die oben beschriebenen Erfahrungen finden sich anschaulich bei Claes F. Janssen in seinem lebensnahen Konzept der "Four Rooms of Change" wieder. Nach seinem Modell durchläuft jede Organisation und jedes Individuum immer wieder denselben Veränderungskreislauf, der aus vier Phasen besteht. Die Zufriedenheit mit dem Erreichten ist eine dieser vier Phasen. In dieser fühlt man sich mit den erzielten Ergebnissen sicher und zufrieden und möchte diesen Zustand erhalten. Danach folgt die Phase des Widerstandes gegen Neues und der Leugnung der Tatsache, dass die Entwicklung / das Leben / der Wettbewerb immer weitergehen. Widerstand und Leugnung in Organisationen zeigen sich meist indirekt, z.B. in Aussagen wie: "Das verstehen wir nicht.", "Das bringt doch nichts.", "Das haben wir so ähnlich schon mal versucht und es hat nicht funktioniert", oder auch: "Wer garantiert uns den Erfolg?" Je stärker man versucht, am Bestehenden festzuhalten und je intensiver der Widerstand gegen Erneuerung ist, umso heftiger fällt die nächste Phase aus: Die Phase der Verwirrung und der Krise. Je länger Leugnung und Widerstand andauern, umso wahrscheinlicher müssen drastische Einschnitte in die Unternehmensstrukturen vorgenommen werden, bevor die eigentliche Erneuerung beginnen kann. Das bedeutet meist, dass nur die Mitarbeiter in die Phase der Erneuerung mitkommen, die sich dieser konstruktiv stellen. Erst dann können sich neue Strukturen, Prozesse und Geschäftsfelder, aber auch neue Haltungen und Verhaltensmuster nachhaltig etablieren. Die Anzahl der Erfolge wächst und dies führt wiederum zur Phase der Zufriedenheit und dem Festhalten der Erfolge. Damit fängt der Kreislauf der Veränderung wieder von vorne an. Die Gültigkeit dieses Konzepts wird u.a. durch die Tatsache bestätigt, dass viele Unternehmen, die auf der Liste der Erfolgreichsten ganz nach oben gekommen sind, fünf bis zehn Jahre später dort nicht mehr zu finden sind.

Es gibt keine Abkürzung

Das Konzept der vier Phasen des Veränderungskreislaufs bietet jeder Organisation, jedem Team und jedem Individuum die Möglichkeit einer schnellen Standortbestimmung. Diejenigen, die sich gerade in der Phase der Zufriedenheit befinden, werden sich vielleicht fragen: "Können wir uns die Phase des Widerstandes und der Verwirrung nicht ersparen und direkt zur Phase der Erneuerung gehen?" Meine Begleitung vieler Unternehmen und Personen über mehr als zwanzig Jahre hat mir gezeigt, dass dies Abkürzung nicht existiert. Je nach Marktentwicklung und Geschäftsmodell kann es sein, dass Erfolgsphasen bei einem Unternehmen länger anhalten als bei anderen. Erfolge sind der stärkste Motivator für weitere Erfolge. Sie machen aber auch blind für nahende Herausforderungen. Diese verdrängen wir lieber, da wir uns einerseits im Status Quo wohlfühlen und wir andererseits im Rahmen unserer alten Denkmuster auch keine passende Antwort finden. Abkürzung zur Erneuerung gibt es keine, aber es gibt Möglichkeiten, den nötigen Weg durch Widerstand und Verwirrung gut zu gestalten.

Offener und ehrlicher Umgang mit Widerstand

Eine dieser Möglichkeiten ist, Widerstand nicht als Störfaktor zu bekämpfen, sondern ihm eine wichtige Funktion im Erneuerungsprozess zu verleihen. Nachgeben, "Wegargumentieren" oder gar jemanden mundtot machen sind gängige Reaktionen auf vermeintliche Störungen. Damit wird jedoch das im Widerstand verborgene Potential verschenkt. Zuerst kommt es darauf an, Widerstand frühzeitig zu erkennen, denn er zeigt sich selten mit offenem Visier. Viel häufiger tritt er etwa als Sich-dumm-stellen, Wegducken oder Ignorieren auf. Das verleitet Führungskräfte, die Erneuerungsprozesse leiten, dazu, auf bessere Kommunikation und Argumentation zu setzen. Dies jedoch richtet bei denen, die nicht verstehen wollen, wenig aus und diejenigen, die sich besser verständlich machen wollen, erreichen damit nichts. Besser ist es, den Unwillen der Betroffenen ernst zu nehmen und Möglichkeiten zu schaffen, offen damit umzugehen. Damit ist nicht gemeint, dass die Betroffenen einfach nur die Gelegenheit brauchen, einmal "Dampf abzulassen", und man sie danach - kurzfristig erleichtert - stehen lässt. Das wäre Manipulation und steigert am Ende den Unmut gegen die Veränderer.
Offener und mutiger Umgang mit Widerstand heißt: Nach dem Dampf ablassen direkt weiter zu gehen. Dafür müssen zwei wichtige Aspekte mit den Betroffenen bearbeitet werden:
1. Keiner kann zu Beginn eines Erneuerungsprozesses sicher sagen, ob alles genauso eintreten wird, wie ursprünglich gewollt. Gleich zu Anfang verlockend klingende Versprechen abzugeben, ist unehrlich und unprofessionell.
2. Es geht für jeden um eine Entscheidung, die er frei treffen kann. Die Entscheidung lautet: Unterstütze ich den Erneuerungsprozess und übernehme ich persönlich Verantwortung dafür, zu seinem Gelingen beizutragen - ja oder nein? Hier ist in vielen Fällen Entscheidungshilfe nötig. Spannend ist dabei herauszufinden, welche Entscheidungskriterien von den Betroffenen genannt werden.
Die Bearbeitung beider Aspekte hat entscheidende Auswirkungen auf den Erneuerungsprozess. Der erste führt dazu, jederzeit für eine Anpassung des Vorgehens offen zu bleiben, anstatt blind dem Zwang bewährter Rezepte zu folgen. Der zweite liefert mit den Entscheidungskriterien die Chance, effektivere Vorgehensweisen im Erneuerungsprozess zu finden. Damit werden diejenigen motiviert, die sich mit ihrer Entscheidung ehrlich auseinandergesetzt haben. Sie gelangen entschiedener zu einem "Ja", da sie erleben, wie die Führung auf ihre Überlegungen eingeht.

Verwirrung und Unsicherheit aushalten

Durch den offenen und respektvollen Umgang mit Widerstand kann man die erste große Hürde im Erneuerungsprozess nehmen. Die nächsten Hürden sind Unsicherheit und Verwirrung bei den Betroffenen, sobald diese beginnen, sich mit dem Neuen ernsthaft zu beschäftigen. Zweifel und Fragen kommen auf, die meist nicht gleich zufriedenstellend beantwortet werden können. Dies führt erneut zu Abwehrreaktionen und zu der Frage: "Wollen wir das wirklich?" An dieser Stelle kommt der Prozess oft an seinen Tiefpunkt. Dies kann man sowohl in organisationsübergreifenden Prozessen als auch bei einzelnen Trainings und Coachings beobachten. Die Entfernung vom aktuellen Zustand zum Ziel der Erneuerung erscheint, wie in der vorangegangenen Phase, erschreckend groß. Diese Diskrepanz erzeugt eine innere Spannung und es kommt nun darauf an, diese Spannung erst einmal auszuhalten. Das bedeutet, im Zustand der "Inkompetenz" dennoch mit Lösungsansätzen weiter zu gehen, die noch nicht die erwünschte Wirkung haben. Aushalten darf hier nicht mit ignorieren verwechselt werden. Aushalten heißt, mit der Unsicherheit, der Verwirrung und der anfänglichen Inkompetenz neutral umzugehen und sich nicht zu einem Nachgeben oder zu einem Rückschritt verleiten zu lassen. In diesen - ganz entscheidenden - Momenten führt das Aushalten oft dazu, zuvor geplante Lösungen durch bessere, in diesem Prozess entstandene Lösungen zu ersetzen und damit erste Fortschritte zu erzielen. Aushalten heißt also auch, offen zu bleiben für die Erfahrung, wie Erneuerung individuell erlebt und angegangen wird. Mit dieser Haltung kann sich die Erneuerung weiter ausbreiten und zu einer inspirierenden und innovativen Erfahrung für alle Beteiligten werden.

Der richtige Zeitpunkt für Erneuerung

Erst in dieser Phase ist es sinnvoll, konkrete Diskussionsformate für gemischte Gruppen oder für Organisationseinheiten anzubieten, durch die sich die Erneuerung und die anfangs nötigen Experimente entfalten können. Jeder erfahrene Organisationsentwickler beherrscht den Umgang mit solchen Formaten, wie z.B. Open Space, Zukunftswerkstatt oder Design-Thinking-Workshops. Eine weitere Möglichkeit, den beginnenden Prozess der Erneuerung zu unterstützen, besteht darin, ausschließlich für dieses Projekt einen speziellen Raum einzurichten. Hier können Mitarbeiter Neues ausprobieren, diskutieren und kreativ arbeiten oder sich auch einfach treffen und miteinander austauschen.

Herausgeber & Copyright: Johann Leitl

 

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